„Wir müssen endlich zeigen, was uns die Heilberufe wert sind“
Das Interesse zum Thema „Zukunft der Physiotherapie“ war groß. Zahlreiche Anmeldungen verzeichnete der digitale Expert*innenkongress von MdL Christina Haubrich. Nicht nur Betroffene aus Haubrichs Stimmbezirken Aichach-Friedberg und Ostallgäu hatten sich am Mittwoch, 16. November 2022, eingewählt. Das virtuelle Format machte es Interessierten aus dem ganzen Freistaat und sogar bundesweit möglich, an der Veranstaltung teilzunehmen.
„Das, was wir heute mit Ihnen diskutieren wollen, ist keine lokale Herausforderung, sondern betrifft einen gesamten Berufsstand“, sagt Haubrich zu Beginn der Abendveranstaltung. „Der
Fachkräftemangel im Gesundheitssektor schlägt sich auch bei den Physiotherapeut*innen nieder. Dabei mangelt es nicht am Interesse für die Ausbildung, im Gegenteil. Viele junge Leute möchten
diesen Beruf ergreifen. Doch der durchschnittliche Verbleib im Beruf ist mit durchschnittlich 3,5 Jahren einfach zu kurz.“ Man brauche mehr Wertschätzung für den Heilberuf, der eine tragende
Säule des Gesundheitssystems ausmacht.
Bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen
Zu dieser Wertschätzung gehöre zum einen eine faire Bezahlung. „Die Krankenkassen bezahlen für eine durchgeführte Krankengymnastik 24 Euro. Davon kann man kein gutes Gehalt bezahlen“, gab ein
anwesender Physiotherapeut zu bedenken. Zum anderen müssten bessere Arbeitsbedingungen dazu führen, dass sich die Verweildauer im Beruf verlängert. „Angesicht des demographischen Wandels werden
wir immer mehr Physiotherapeut*innen brauchen. Überstunden können nicht die Antwort darauf sein, den großen Patient*innenstrom zu bewältigen“, sagt Haubrich.
Robin Etmans stimmt dem zu. Er kennt als praktizierender Physiotherapeut die herrschenden Arbeitsbedingungen und ist Inhaber der Gesundheitszentrum ProPhysio GmbH. „Zum Glück haben wir sehr viele
Frauen in unserem Beruf. Das liegt mitunter auch daran, dass man nach der Elternzeit relativ familienfreundlich und barrierearm ins Arbeitsleben zurückkehren kann. Wir müssen Anreize schaffen,
damit diese das auch tun“, so Etmans.
Perspektiven für den Nachwuchs
Insbesondere die Frage nach der Neugestaltung der Ausbildung sowie die Akademisierung des Berufszweigs nahm einen großen Teil der Diskussion ein. „Wir müssen einen pluralistischen Bildungsweg
ansteuern“, findet Michael Dodel, Gesamtschulleiter der Sebastian-Kneipp-Schule. Er spricht sich für eine echte Teil-Akademisierung aus und weist darauf hin, dass die Gruppe der
Schulabgänger*innen ohne Hochschulzugangsberechtigung weit größer ist, als die mit einer Studienberechtigung. „Diese dürfen wir nicht verlieren, denn wir müssen für unseren gesamten Nachwuchs
Perspektiven schaffen.“
Bedenken zur Voll-Akademisierung teilt ein Vertreter des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds e.V. (BBSB). „Das würde eine große Gruppe an Menschen ausschließen. Dabei haben wir bei den
Blinden und Sehbehinderten eine Vermittlungsquote von 100 Prozent.“
Anreize schaffen für den Berufszweig
Michael Dodel möchte möglichst vielen Menschen den Einstieg in die Gesundheitsbranche ermöglichen. „Diese benötigen ausreichend Handlungskompetenz auf dem Weg zur Physiotherapeut*in. Vertikale
Durchstiegsmöglichkeiten, beginnend bei der berufsfachschulischen Ausbildung bis hin zur Promotion, schaffen Anreize gegen die Fluktuation aus den Gesundheitsfachberufen.“
„Letztendlich stellt sich die Frage, wie wir am Arbeitsmarkt aufgestellt sein möchten. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Physiotherapie-Ausbildung mit echten Perspektiven. Eine
zukunftsorientierte Evolution der Profession Physiotherapie muss das Ziel sein“, sagt Prof. Dr. Christoph Egner. Als Studiendekan für Medizinalfachberufe und Physiotherapie an der DIPLOMA
Hochschule betont er, dass man dringend einen begleitenden/integrierten oder additiv-konsekutiven Bachelor und Master in der Physiotherapie braucht.
„Wir müssen die Gesundheitsberufe stärken“
Der Austausch mit den Teilnehmenden und deren Fragen zeigt: die Problemfelder der Physiotherapeut*innen sind vielfältig. Der Diskussionsbedarf war so groß, dass von einer Vielzahl der
Teilnehmenden eine zukünftige Veranstaltung gewünscht wurde, die an den besprochenen Inhalten und Ideen anknüpft.
„Weitgehend einig sind wir uns darin, wie die Zukunft der Physiotherapie aussehen soll. Bessere Arbeitsbedingungen, faire Bezahlung, weniger Bürokratie und eine Weiterentwicklung der Ausbildung“,
fasst Haubrich zusammen. Noch unklar sei allerdings der Weg dorthin. „Jetzt ist die Politik gefragt. Wir müssen unsere Gesundheitsberufe stärken und endlich zeigen, was uns die Heilberufe und die
Gesundheit unserer Gesellschaft wert sind.“
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